Das Transferteam des Botanischen Gartens versucht in vielen Veranstaltungen die umfangreiche wissenschaftliche Pflanzensammlung des Botanischen Gartens der Universität Leipzig aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und so für Ihren Besuch erlebbar zu machen. In diesem Jahr überraschte uns Ralf Pannowitsch mit der Idee eines Botanischen Ackers, welcher in enger Kooperation mit dem Förderkreis des Botanischen Gartens e. V. und dem Team des Gartens entstanden ist.
Was sich dahinter verbirgt, können Sie im folgenden Interview mit Ralf Pannowitsch erfahren:
Links hinter den Gewächshäusern ist ein rätselhaftes neues Beet entstanden. Was ist da geplant?
Hier präsentieren wir in diesem Jahr den „Botanischen Acker“ mit Nutzpflanzen aus aller Welt – von Erdnuss bis Okra. Am Anfang sollten es ungefähr 30 Arten sein, aber es war nicht leicht, aus der Fülle aller Kulturpflanzen eine Auswahl zu treffen, und nun sind es 50 geworden, die sich den Platz teilen müssen. Das macht etwa zweieinhalb Quadratmeter pro Art – vermutlich nicht genug, um ganz Leipzig zu ernähren.
Warum gerade dieses Thema?
Wir nutzen Pflanzen im Alltag für die verschiedensten Zwecke. Wie diese Pflanzen aussehen, ist manchmal leicht herauszufinden, beispielsweise bei Gemüse (wenn es nicht gerade verkochter Spinat ist). Aber wie sieht eigentlich eine Erdnusspflanze aus? Und wie wächst und blüht das Malvengewächs, aus dem die Jutesäcke gemacht werden? Schon ein Spargelacker im Sommer sorgt für viele ratlose Blicke. Unsere Ausstellung möchte über Wuchsformen, Züchtungserfolge, Anbautechniken und Nutzungsarten wichtiger und bisweilen auch kurioser Kulturpflanzen informieren. Es kann ja nicht schaden, eine ungefähre Vorstellung von dem zu haben, was man gern isst oder tagtäglich am Leibe trägt.
Außerdem ist es wahrscheinlich, dass sich auch in Mitteleuropa die klimatischen Bedingungen in den nächsten Jahrzehnten weiter verändern. Manche gewohnten Feldfrüchte werden dann vielleicht schwieriger anzubauen sein, weil es zu warm oder zu trocken ist. Mag sein, dass wir uns dann wieder auf alte und fast vergessene Ackerpflanzen besinnen müssen, etwa die Silberhirse, deren Anbau im Mittelalter gang und gäbe war. Und auch für Pflanzen, die bisher in unserem Klima kalte Füße bekamen, können wir ja schon mal einen kleinen Eignungstest machen. Landwirte in Thüringen und Bayern bauen bereits erfolgreich Wassermelonen an – wir in Leipzig hoffen dieses Jahr auf eine reiche Zuckermelonen-Ernte …
Sind die Pflanzen alphabetisch angeordnet?
Über die Ordnungsprinzipien haben wir lange nachgedacht. Wir hätten beispielsweise die Herkunft der Nutzpflanzen als Grundlage nehmen können. Aber manche davon sind heute in vielen Weltgegenden verbreitet. Kartoffeln und Tomaten stammen bekanntlich aus Amerika, werden aber in Europa inzwischen in rauen Mengen produziert.
Dann wäre es sicher interessant gewesen zu zeigen, welche verwandtschaftlichen Zugehörigkeiten diese Kulturpflanzen haben. Mais, Gerste, Weizen, Hafer, Hirse & Co. sind allesamt Süßgräser, aber der Buchweizen, der gerade wieder eine kleine Renaissance erlebt, sieht völlig anders aus und gehört auch zu einer ganz anderen Familie. Da wundern sich manche Besucher – „Hä, das ist doch kein Weizen?!“ Ja, genau.
Am Ende haben wir uns für eine Klassifizierung nach Nutzungsarten entschieden. Ganz hinten stehen Pflanzen, die Proteine liefern: Feuerbohne, Linse, Sojabohne, Kichererbse usw. Das sind größtenteils Schmetterlingsblütler. Dann kommen Faserpflanzen, Ölpflanzen, Gewürzpflanzen, Stärke- und Zuckerlieferanten etc. Manchmal ist es schwer zu entscheiden, wohin man eine Art setzen soll: So ist Lein sowohl eine Öl- als auch eine Faserpflanze.
Wie ist denn der Botanische Acker vorbereitet worden? Einen Traktor mit Pflug konnte man sicher nicht drüber schicken.
In den letzten Jahrzehnten war das eine Rasenfläche. Die wurde gefräst, Rasensoden und Steine wurden abgesammelt. (Aber Gras und Steine wachsen merkwürdigerweise immer wieder nach.) Dann haben wir Kompost aufgeschüttet – in Maßen. Der Boden dürfte jetzt durchschnittlich fruchtbar sein. Bei Starkzehrern müssen wir sicher noch mal nachdüngen. Was nervt, sind die Lehmklumpen, die bei Trockenheit steinhart werden.
Und woher kommt das Saatgut? Quinoa, Teff, Huacatay oder Taro habe ich im Gartencenter noch nie gesehen.
Für Taro nehmen wir gleich die Knollen, die gibt es mit etwas Glück in Spezialläden für afrikanische Lebensmittel. Den Hafer hat ein Reiterhof gespendet. Aber viele Raritäten kommen von anderen Botanischen Gärten. Sie versorgen sich über den Index Seminum gegenseitig mit Saatgut. Wir haben Tütchen aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Litauen, Tschechien, Italien und Rumänien bekommen – das war ein bisschen wie Weihnachten.
Ich sehe auf der Artenliste keine Kartoffeln, dafür aber so abstruse Dinge wie Erdbeerspinat. Die wirtschaftliche Bedeutung hat bei der Auswahl wohl keine Rolle gespielt?
Ja und nein. Ich war davon ausgegangen, dass jeder ein Kartoffelfeld, aber auch einen Zuckerrüben- oder Sonnenblumenacker sowieso auf den ersten Blick erkennt. Hätten wir dafür unseren kostbaren Platz opfern sollen? Von den traditionellen heimischen Getreidearten wird eigentlich nur Hafer zu sehen sein, weil der heutzutage bei uns kaum noch angebaut wird – und weil er einfach sehr dekorativ ist.
Die Optik spielt also auch eine Rolle?
Na klar, wir wollen auch ein bisschen Show machen. Beim Mais habe ich zum Beispiel Sorten mit rosa-weiß-grün gestreiften Blättern ausgewählt, aber auch die Sorte ‚Schwarzer Tessiner‘ mit Kolben, die … na ja, eben schwarz aussehen. Bei den Möhren gibt es ‚Küttiger Rüebli‘, eine alte weiße Sorte aus der Schweiz, aber auch die dunkelsten Möhren, die bisher gezüchtet wurden. Und damit ein bisschen Farbe auf die Beete kommt, gibt es himmelblauen Lein, goldgelbes Gingellikraut, bonbonrosa Esparsette und buntstieligen Mangold …
Hört sich gut an, aber bis jetzt sieht man noch nicht viel …
Einige Arten sind schon an Ort und Stelle ausgesät, andere wachsen im beheizten Glashaus heran. Melonen, Baumwolle und andere wärmebedürftige Arten pflanzen wir erst Ende Mai aus. Aber kommen Sie mal im Juni vorbei, da gibt es bestimmt eine Menge zu sehen.
Und wird es Schilder mit Erklärungen geben?
Wir wollen keinen Schilderwald. Dezente Schildchen werden den botanischen und den deutschen Namen tragen, aber für die Detailinformationen wird man zu den Faltblättern greifen müssen. Natürlich bieten wir auch thematische Führungen an – und im September einen Ernte- und Verkostungstag.
Auch für den Hanf?
Unsere Sorte würde Sie enttäuschen, das ist ein reiner Nutzhanf praktisch ohne die begehrten Wirkstoffe.
Wird er denn an diesem Standort überhaupt gedeihen?
Beim Hanf habe ich keine Bedenken. Vielleicht schafft er ja nur anderthalb Meter, aber umso besser, dann beschattet er seine Nachbarn nicht so sehr. Sorgen machen mir die Parzellen hinten rechts – auf die fällt am Nachmittag der Schatten des Zuckerahorns. Ob das die Puffbohnen und der Sareptasenf tolerieren?
Echt spannend wird es bei Baumwolle oder Sesam. Damit die draußen prächtig gedeihen, brauchen wir einen so heißen und feuchten Sommer, wie wir ihn uns lieber nicht wünschen sollten. Und ein bisschen mulmig ist mir auch bei Zuckerrohr, Ingwer, Kiwano … Wenn es ein mittelmäßiger Sommer wird, scheitern wir.
Dann probieren Sie es nächstes Jahr eben noch mal.
Geht nicht, denn dort, wo in diesem Jahr der Botanische Acker ist, beginnen danach die Bauarbeiten für den neuen Wirtschaftshof. Es ist also ein einmaliges und temporäres Projekt – wer es verpasst, hat Pech gehabt!
Ich sehe auch Reis auf dem Beetplan. Wollen Sie ein paar Quadratmeter fluten?
Nein, wir machen ein Experiment mit Trockenanbau. Die Reissorte ‚Arborio‘ soll dafür ganz gut geeignet sein. Ganz ohne Zusatzbewässerung wird es aber sicher nicht gehen.
An einigen Arten werden ab Sommer Artensteckbriefe zu sehen sein, was hat es damit auf sich?
In diesem Jahr haben wir auch eine Ausstellung mit dem Titel “Von Bohne, Erdnuss und Mimose - fabelhafte Fabaceae” im Botanischen Garten. Eröffnung ist am 08.06.2024 mit dem Start der Woche der Botanischen Gärten. Erstellt wurde diese Ausstellung im Verband der Botanischen Gärten, und sie ist in vielen Gärten deutschlandweit zu sehen. Wir haben hier in Leipzig nun die Möglichkeit, den Botanischen Acker mit der Ausstellung zu den Schmetterlingsblütengewächsen zu verknüpfen.