Sarah Pschorn (1989) ist eine in Leipzig lebende Bildhauerin. Sie schafft malerische Skulpturen aus Ton, Porzellan und Fundstücken, die oft an barocke Prunkgefäße erinnern und vergangene Epochen plastisch zitieren.
1. Overgrow
Die Skulptur Deep Blue Sea entstand 2022 für ein Ausstellungsprojekt im Gerhard-Marcks-Haus in Bremen. Mit den Maßen 180 × 110 × 110 cm handelt es sich um die bislang größte keramische Arbeit der Künstlerin Sarah Pschorn. Für das Projekt Lebende Skulpturen wird sie nun erstmals im Außenraum installiert, wo sie nach und nach von Feuerbohnen (Phaseolus coccineus) überwuchert und allmählich von der Pflanze vereinnahmt wird.
Im Mittelpunkt steht das Spannungsverhältnis zwischen einer dauerhaft gebrannten Form und einem lebendigen Organismus, der wächst, umhüllt und verwandelt – bis die Skulptur nur noch in Ansätzen erkennbar ist. Die farbige Oberfläche verschwindet von unten nach oben im Grün. So entsteht eine temporäre Allianz zwischen Keramik und Pflanze, zwischen Konstruktion und Lebewesen.
Der Begriff „Überwuchern“ ist meist negativ konnotiert. Er verweist auf das tief verankerte Bedürfnis nach Kontrolle: Natur darf wachsen – aber bitte innerhalb gesetzter Grenzen. Der Garten gilt als Sinnbild dieses Ordnungsanspruchs. Warum fällt es so schwer, das Unkontrollierte zuzulassen? Gerade in einem Einverständnis mit dem Unvorhersehbaren könnte ein anderes Verhältnis zur Natur entstehen – eines, das neue Wege im Umgang mit der ökologischen Krise eröffnet.
Lebende Skulpturen laden dazu ein, den Skulpturbegriff zu weiten: Wandel und Vergänglichkeit werden nicht nur thematisiert, sondern sind konkret erfahrbar.
2. RAR
Seit Jahrhunderten entwirft der Mensch architektonische Räume mit gezielt veränderten klimatischen Bedingungen – Gewächshäuser, in denen Pflanzen wachsen können, die in der jeweiligen Umgebung sonst nicht überleben würden. Mit großem Aufwand werden diese oft beeindruckenden Arten präsentiert, bewahrt und gezeigt.
Gleichzeitig verschwinden andere Pflanzen – direkt vor diesen Türen. Arten, die früher selbstverständlich zur hiesigen Landschaft gehörten, sterben still und unbeachtet aus.
Die Bittere Schleifenblume (Iberis amara), die früher in der Region Leipzig heimisch war, gilt dort heute als ausgestorben. Sie steht exemplarisch für viele Pflanzen, die aus den Ökosystemen verschwinden.
Die Arbeit RAR widmet sich dieser kleinen, unscheinbaren Pflanze und gibt ihr eine Bühne. Im Tropenhaus des Botanischen Gartens Leipzig, einem Ort der Inszenierung und Atmosphäre, wird sie Teil einer neuen Erzählung: über Verlust, Fürsorge und die Frage, welche Pflanzen sichtbar gemacht werden – und welche in Vergessenheit geraten.
Es ist an der Zeit, neue Räume zu schaffen: Räume, die diesen bedrohten Pflanzen Aufmerksamkeit schenken, an sie erinnern – und sie, wenn möglich, mit genau dieser Energie zurückholen.