Was ist das Segel-Programm?
SeGel soll an das chinesische Sprichwort erinnern: “Nicht der Wind, sondern das Segel bestimmt die Richtung” und dient als Metapher für die Fähigkeit eines jeden Menschen auch mit großen Herausforderungen konstruktiv umgehen zu können, zu wachsen und damit Gutes zu tun für sich selbst und die Umwelt.
SeGeL wird von Prof. Ute Kunzmann gemeinsam mit Dr. Cornelia Wieck entwickelt. Die SeGel-Kurse stehen aktuell Mitgliedern der Leipziger Universitäten und Hochschulen offen. SeGeL ist jedoch inklusiv und soll perspektivisch für Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Lebenszusammenhängen nützlich sein.
Individuelles Wohlbefinden, Mitgefühl und prosoziales Verhalten sowie eine nachhaltige und proökologische Lebensweise sind wichtige Entwicklungsziele und schaffen für den Einzelnen wie auch die Gesellschaft eine Grundlage für ein friedliches und produktives Miteinander. Ein Blick auf das aktuelle Weltgeschehen zeigt jedoch, dass wir als Gesellschaft weit von diesen Entwicklungszielen entfernt sind. Zudem legen psychologische Forschungsergebnisse nahe, dass viele Erwachsene chronischen Stress erleben, unter sozialen Konflikten leiden oder sich von den aktuellen Krisen wie dem Klimawandel oder Kriegen bedroht und belastet fühlen (z. B. Bretschneider et al., 2017; Mauz et al., 2023).
In dieser Situation stimmen neuere Forschungsbefunde hoffnungsvoll, die nahelegen, dass Achtsamkeit, verstanden als eine vorurteilsfreie, offene und tolerante Haltung dem Leben gegenüber, einen wichtigen Beitrag zur Überwindung individueller und sozialer Probleme leistet. Dabei kann Achtsamkeit im Rahmen von Interventionen trainiert werden und führt dann zu einer Reduzierung von Stress, einer Erhöhung von Wohlbefinden und einer stärkeren prosozialen und nachhaltigen Lebensweise (z. B. Berry et al., 2020; Geiger et al., 2019; Goldberg et al., 2022).
Quellen:
Berry, D. R., Hoerr, J. P., Cesko, S., Alayoubi, A., Carpio, K., Zirzow, H., ..., & Beaver, V. (2020). Does mindfulness training without explicit ethics-based instruction promote prosocial behaviors? A meta-analysis. Personality and Social Psychology Bulletin, 46, 1247-1269. https://doi.org/10.1177/01461672199004
Bretschneider, J., Kuhnert, R., & Hapke, U. (2017). Depressive symptoms among adults in Germany. Journal of Health Monitoring, 2:77–83. DOI 10.17886/RKI-GBE-2017-070
Geiger, S. M., Grossman, P., & Schrader, U. (2019). Mindfulness and sustainability: Correlation or causation? Current Opinion in Psychology, 28, 23-27. https://doi.org/10.1016/j.copsyc.2018.09.010
Goldberg, S. B., Riordan, K. M., Sun, S., & Davidson, R. J. (2022). The empirical status of mindfulness-based interventions: A systematic review of 44 meta-analyses of randomized controlled trials. Perspectives on Psychological Science, 17, 108-130. https://doi.org/10.1177/1745691620968771
Mauz, E., Walther, L., Junker, S., Kersjes, C., Damerow, S., Eicher, S., ... & Thom, J. (2023). Time trends in mental health indicators in Germany's adult population before and during the COVID-19 pandemic. Frontiers in public health, 11. https://doi.org/10.3389/fpubh.2023.1065938
Wir bauen auf den Forschungsbefunden zur hohen Wirksamkeit von achtsamkeitsbasierten Kursen in der Allgemeinbevölkerung wie auch im Hochschulkontext auf (z. B. Voss et al., 2020). Die gemeinsame Basis aller Kursformate ist die Achtsamkeit, die wir in informellen und formellen Meditationsübungen schulen.
Achtsamkeit als Zustand bedeutet, bewusst die Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment zu richten und alles, was sich zeigt, Gedanken, Gefühle, Körper- und Sinnesempfindungen, möglichst wertfrei und gleichermaßen wohlwollend wahrzunehmen.
Diese Achtsamkeitspraxis, das wertfreie Wahrnehmen des Moments, ist absichtslos. Wenn wir achtsam sind, wollen wir keine bestimmten Ziele und Zustände erreichen, sondern einen inneren Raum schaffen, der es uns erlaubt, uns allen Phänomenen zu öffnen, ganz gleich ob sie angenehm oder unangenehm sind. Wenn wir beispielsweise in der Natur achtsam sind, nehmen wir nicht nur ihre Schönheit wahr, sondern auch ihre Wildheit und Grausamkeit. Es ist das Paradoxon der Achtsamkeitspraxis, dass sie trotz ihrer Absichtslosigkeit und dem damit verbundenen Raumschaffen auch für Gedanken und Gefühle, die wir gewöhnlich lieber vermeiden, wohltuende Wirkungen auf unseren Geist und Körper hat, zu Perspektivenwechseln einlädt und den Weg zu neuen Gestaltungsmöglichkeiten ebnet.
Quellen:
Voss, A., Bogdanski, M., Langohr, B., Albrecht, R., & Sandbothe, M. (2020). Mindfulness-Based Student Training Leads to a Reduction in Physiological Evaluated Stress. Frontiers in psychology, 11, 645. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2020.00645
Wir wenden uns mit unserem Programm an alle Angehörigen der Leipziger Universitäten und Hochschulen und insbesondere Student:innen und Nachwuchswissenschaftler:innen.
Die hohe Prävalenz von chronischem Stress, psychischen Symptomen wie Depressivität und Ängstlichkeit sowie sozialen Problemen unter Student:innen ist durch Umfragen des Studentenwerks der Universität Leipzig belegt (Studentenwerk Leipzig, 2022), wobei die Probleme deutschlandweit und auch in anderen Ländern dokumentiert wurden (z. B. Macaskill, 2013; Techniker Krankenkasse, 2023). Hinzu kommt, dass sich viele Student:innen – genauso wie die Bevölkerung generell – von gesellschaftlichen Krisen wie dem Klimawandel oder dem Biodiversitätsverlust bedroht fühlen (z. B. Liebal et al., 2024).
Entsprechend fanden im Jahr 2022 allein 3.428 psychosoziale Einzelberatungen für Student:innen an der Universität Leipzig statt, wobei die Wartezeit für ein Beratungsgespräch in Stoßzeiten bis zu acht Wochen beträgt. Dabei ist belegt, dass nur ein Bruchteil der Betroffenen professionelle Hilfe aufsucht und erhält. Oft sind die inneren und äußeren Hürden für eine Inanspruchnahme von Hilfsangeboten sehr hoch, wie beispielsweise die teilweise immer noch berechtigte Angst vor Diskriminierung, aber auch die begrenzten Beratungskapazitäten (Studentenwerk Leipzig, 2022).
Während die Situation von Student:innen an der Universität Leipzig relativ gut belegt ist, gibt es für die Lebens- und Arbeitssituation von Nachwuchswissenschaftler:innen (d.h. Doktorand:innen und Post-Doktorand:innen) an der Universität Leipzig unseres Wissens keine wissenschaftlich gesicherten Belege. Deutschlandweite und auch internationale Erhebungen lassen aber vermuten, dass Nachwuchswissenschaftler:innen unter großem Leistungsdruck stehen und die Prävalenz von chronischem Stress, psychischen Symptomen sowie sozialen Problemen mindestens so hoch, wenn nicht deutlich höher liegt als bei Student:innen (Levecque et al., 2017; Majev et al., 2021; Naumann et al., 2022). Eine aktuelle Meta-Analyse mit über 22.000 Teilnehmer:innen hat beispielsweise ergeben, dass die Prävalenzraten unter Doktorand:innen für Depression bis zu 24 % und für Angstzustände bis zu 17 % betragen. Diese Raten liegen damit sehr viel höher als dies für die gleichaltrige Normalbevölkerung nachgewiesen wurde (Satinsky et al., 2021).
Die Gründe für die bedrohte seelische Gesundheit von Nachwuchswissenschaftler:innen sind ebenso vielgestaltig wie die von Student:innen und bestehen beispielsweise in dem hohen Leistungs- und Zeitdruck, den unsicheren und nur kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen, der oft mangelnden Professionalisierung der Betreuungssituation sowie dem hohen Wettbewerb um spätere akademische Stellen.
Angesichts der oben beschriebenen Lebenssituation vieler Student:innen und Nachwuchswissenschaftler:innen, besteht das primäre Ziel unseres SeGeL-Programms darin, ein niedrigschwelliges und kostenfreies Angebot von achtsamkeitsbasierten Gruppenkursen anzubieten. Damit wollen wir unsere Teilnehmer:innen dabei unterstützen, ihr inneres Gleichgewicht zu finden und stabilisieren sowie neue Gestaltungsmöglichkeiten und Perspektiven zu gewinnen.
Quellen:
Levecque, K., Anseel, F., De Beuckelaer, A., Van der Heyden, J., & Gisle, L. (2017). Work organization and mental health problems in PhD students. Research Policy, 46(4), 868–879. https://doi.org/10.1016/j.respol.2017.02.008
Liebal, K., Denzer, V., Eisenhauer, N., Fritsche, I., Kunzmann, U., Oña, L., Quaas, M.F., Staude, I.R., & Wirth, C. (2024). Biodiversity, mental health and well-being: psychological mechanisms and moderators of a complex relationship (BIOWELL). Research Ideas and Outcomes.
Macaskill, A. (2013). The mental health of university students in the United Kingdom. British Journal of Guidance & Counselling, 41(4), 426–441. https://doi.org/10.1080/03069885.2012.743110
Majev, P.-G., Vieira, R. M., Carollo, A., Liu, H., Stutz, D., Fahrenwaldt, A., Drummond, N., & Max Planck PhDnet Survey Group 2020/2021. (2021). PhDnet Report 2020 [Application/pdf]. https://doi.org/10.17617/2.3344273
Naumann, S., Matyjek, M., Bögl, K., & Dziobek, I. (2022). Doctoral researchers’ mental health and PhD training satisfaction during the German COVID-19 lockdown: Results from an international research sample. Scientific Reports, 12(1), 22176. https://doi.org/10.1038/s41598-022-26601-4
Satinsky, E. N., Kimura, T., Kiang, M. V., Abebe, R., Cunningham, S., Lee, H., Lin, X., Liu, C. H., Rudan, I., Sen, S., Tomlinson, M., Yaver, M., & Tsai, A. C. (2021). Systematic review and meta-analysis of depression, anxiety, and suicidal ideation among Ph.D. students. Scientific Reports, 11(1), 14370. https://doi.org/10.1038/s41598-021-93687-7
Studentenwerk Leipzig. (2022). 10 Jahre Psychosoziale Beratung für Studierende – damit Studieren in Leipzig gelingt.
Techniker Krankenkasse. (2023). Gesundheitsreport 2023—Wie geht’s Deutschlands Studierenden.