Pressemitteilung 2021/032 vom

Damit ein Medikament an den richtigen Stellen im Körper wirksam wird, wollen Wissenschaftler möglichst genau vorhersagen können, wie die Moleküle des Wirkstoffs mit den menschlichen Zellen interagieren. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt ist es Wissenschaftlerinnen des Sonderforschungsbereichs 1423 an der Universität Leipzig und der chinesischen Akademie für Wissenschaften in Shanghai gelungen, eine solche Struktur aufzuklären, und zwar die des Neuropeptid-Y-Rezeptors Y2 mit einem seiner Liganden. Damit liegt erstmalig ein molekularer Bauplan für diesen Rezeptor vor, der es ermöglicht, passgenau neue Wirkstoffe, beispielsweise gegen Epilepsie oder Herzkreislauferkrankungen, zu entwickeln. Die Ergebnisse sind vor Kurzem in „Nature Communications“ veröffentlicht worden.

 

Der Y2-Rezeptor spielt eine wichtige Rolle insbesondere im peripheren Nervensystem und im Gehirn, gilt er doch als einer der „Sättigungsrezeptoren“. Weiterhin spielt er eine Rolle bei Epilepsie sowie bei Herzkreislauferkrankungen. Sollen diese Erkrankungen mit Medikamenten behandelt werden, die den Y2-Rezeptor blockieren, gilt es sicherzustellen, dass der Wirkstoff passgenau und ausschließlich diesen Rezeptor anspricht, denn einige eng verwandte Rezeptoren würden genau gegenteilige Effekte vermitteln.  Bei der Entwicklung von Wirkstoffen ist es deshalb unerlässlich, sehr zielgenaue Verbindungen zu erreichen und deren molekulare Eigenschaften genauestens zu kennen. 

Den Forscherinnen und Forschern um Prof. Dr. Annette Beck-Sickinger und Dr. Anette Kaiser von der Universität Leipzig ist es gelungen, auf molekularer Ebene zu zeigen, wie Substanzen den Y2-Rezeptor blockieren können. Mit den Kollegen in Shanghai konnte die Kristallstruktur mit einem gebundenen Liganden aufgeklärt, durch zahlreiche biochemische Untersuchungen validiert und auf andere Systeme übertragen werden. Die neue Studie zeigt weiterhin, dass Y2-Rezeptor-Blocker anders binden als vergleichbare Moleküle am eng verwandten Y1-Subtyp, was eine zukünftige wissensbasierte Entwicklung selektiver Verbindungen an beiden Rezeptoren erleichtert. 

Die Untersuchung dieser Rezeptorfamilie mit ihren körpereigenen Liganden sowie weiteren klinisch relevanten Verbindungen ist ein Schwerpunkt des an der Universität Leipzig koordinierten Sonderforschungsbereichs 1423. Der SFB 1423 ist ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderter vierjähriger Forschungsverbund, an der vier Einrichtungen beteiligt sind: Universität Leipzig, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Charité – Universitätsmedizin Berlin und das Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin. Forschende aus biochemischen, biomedizinischen und computerwissenschaftlichen Kontexten arbeiten über die Grenzen ihrer jeweiligen Institutionen und Disziplinen hinweg zusammen, um ein umfassendes Verständnis der Auswirkungen der Strukturdynamik auf die Funktion G Protein-gekoppelter Rezeptoren zu erhalten. Der Sonderforschungsbereich umfasst insgesamt 19 Teilprojekte. 

Originaltitel der Veröffentlichung in „Nature Communications“:
“Structural basis for ligand recognition of the neuropeptide Y Y2 receptor”
DOI: 10.1038/s41467-021-21030-9